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Von der moralischen Überlegenheit oder: Wieso gibt es nur so viele dumme Menschen?


Wieso sind wir umgeben von Narzissten, Rassisten, Bildungsfernen und Ignoranten? Überall begegnet man Ihnen, den Menschen denen offensichtlich der gesunde Menschenverstand fehlt, die keine Ahnung haben, die lügend und unmoralisch durch das Leben gehen. Was können wir gegen all die schlechten Eigenschaften der anderen tun?

Nun, als erstes müssen wir uns die Frage stellen, ob es wirklich so ist, dass immer nur die anderen schlechte Eigenschaften haben, oder könnte es etwa sein, dass wir einer psychologischen Fehleinschätzung zum Opfer fallen?

Jeder Mensch glaubt oder hofft zumindest, dass er das Richtige tut. Wir sind überzeugt, dass unsere Meinung die Richtige ist. Die Korrektheit unserer Ansichten lassen wir uns durch Gleichgesinnte bestätigen. Wir glauben zu wissen, wie die Welt funktioniert, was richtig und falsch ist, was klug ist und was nicht, wir glauben sogar zu wissen, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Könnte es aber sein, dass dieses vermeintliche Wissen nur ein beweisloses „Für-selbstverständlich-Halten“ ist, das sich bei genauerer Untersuchung als Scheinwissen entpuppt?

Die Methode ist bekannt. Statt sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, wählt man den einfacheren Weg. Man stellt die Andersdenkenden in die rechte oder linke Ecke oder man entwertet sie als Bildungsferne, Verschwörungstheoretiker, Kommunisten, Klimaleugner, Fundamentalisten usw. Jeder weiss nämlich, dass sich eine Diskussion mit solchen „Spinnern“, die scheinbar kompromisslos an ihren ideologischen oder religiösen Grundsätzen festhalten, nicht lohnt. Somit befreit eine solche Etikettierung davon, sich mit möglichen Fakten und Argumenten der Andersdenkenden auseinanderzusetzen.

Das Problem ist, dass wir durch die Diffamierung anderer Menschen, selber zu den „Spinnern“ werden. Wenn wir Menschen, welche nicht unserem Weltbild entsprechen als „doof“, „kleinkariert“ oder „engstirnig“ belächeln, tun wir nichts anderes als den Tatbeweis dafür zu erbringen, dass wir selber eher „doofe und kleinkarierte“ Menschen mit mangelnder Weltoffenheit sind.

Besonders erschreckend ist zuweilen, wie viele Menschen sich für überlegen halten. Nämlich fast alle. In der Tat bestätigen jahrzehntelange Forschungen (Alice et al 2001), dass wir alle überdurchschnittlich gut sind – zumindest ist es das was wir meinen. Wenn wir uns mit anderen Menschen vergleichen, dann neigen wir dazu, uns selber besser und positiver einzuschätzen, als unsere Mitmenschen. Wir glauben, dass wir über überdurchschnittliche Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Wir sind überzeugt, dass wir intelligenter, ehrgeiziger, disziplinierter, freundlicher und bescheidener sind, als der Durchschnitt.

Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt wenn es um moralische Eigenschaften (Tappen et al. 2016) geht. Die Mehrheit der Menschen ist sich sicher, dass sie gerechter, ehrlicher und moralischer sind und handeln als ihre Mitmenschen (Howell & Ratliff 2016). Diese selbst Überschätzung führt zu einer schädlichen Selbstgerechtigkeit, die sich wiederum negativ auf unsere Kooperations- oder Kompromisbereitschaft auswirkt. Wieso soll ich mit moralisch unterlegenen Menschen überhaupt zusammenarbeiten? Wieso soll ich mit unmoralischen, mir intellektuell nicht gewachsenen Menschen einen Kompromiss eingehen? Ich weiss ja, was gut und richtig ist…

Genau diese Selbstgerechtigkeit schafft eine immer grösser werdende Distanz zwischen uns und „den anderen“. Sie führt zu einer Polarisierung und zu einer Zunahme der Intoleranz. Das Gefühl der moralischen Überlegenheit kann bei politischer Zwietracht und sozialen Konflikten bis hin zur Gewalteskalation führen. Die Verfolgung und Ermordung der anderen wird dann im Namen des Guten zur gerechten Sache.

Besonders nachdenklich sollte es uns machen, dass das Gefühl von moralischer Überlegenheit die Wahrscheinlichkeit zu unmoralischem Handeln signifikant erhöht (Blanken et al. 2015). Psychologen haben nämlich rausgefunden, dass unsere geglaubte moralische Überlegenheit unser eigenes ethisches Verhalten zu untergraben vermag. Die Selbstwahrnehmung als moralisch vorbildliche Person kann helfen, künftige „unmoralische“ Handlungen zu legitimieren. Menschen, die kürzlich bei einem sozialen Projekt mitgearbeitet hatten, neigten eher dazu, Dinge vom Arbeitsplatz mitlaufen zu lassen. Auch die Hexen wurden für eine „gute“ Sache verbrannt. Die Kirche legitimierte die schrecklichen Handlungen genauso durch ihre moralische Überlegenheit, wie Stalins Kommunisten den Staatsterror gegen die „Volksfeinde“. Dieses Phänomen erklärt auch das Verhalten gewisser Radfahrer, die sich nicht an allgemein gültige Verkehrsregeln halten. Da sie nämlich als Radfahrer umweltfreundlich unterwegs sind und somit den Autofahrern moralisch überlegen sind, dürfen sie Rotlichter und Fussgängerwege missachten.

Spannend sind auch die Ergebnisse einer psychologischen Studie aus dem Jahre 2018 (Bostyen et al. 2018). Die Wissenschafter fanden mittels einem Experiment heraus, dass viele Menschen weit weniger moralisch handeln, als sie dies von sich annehmen oder erwarten. Was Menschen sagen, das sie in einer Situation tun würden, unterscheidet sich demnach stark von dem, was sie tatsächlich tun, wenn sie sich effektiv in der Situation befinden. Das bedeutet, dass auch jene, welche sich selber als überaus moralische Menschen bezeichnen, nicht davor gewappnet sind, sich in der Realität unmoralisch zu verhalten. Vor allem, wenn der Druck durch die Masse, durch Eliten oder Autoritäten gross ist, besteht eine grosse Gefahr, dass das eigene Handeln von unseren eigenen Moralvorstellungen abweicht (Aesch 1951, Milgram 1963). Auch dazu gibt es in der Geschichte zahlreiche Beispiele.

Und was tun wir nun mit diesem Wissen über unsere Selbstüberschätzung? Es ist eigentlich ganz einfach. Eines der grössten Probleme des Gefühls der moralischen Überlegenheit ist nämlich die Tatsache, dass es uns davon abhält, unsere eigenen Vorurteile zu überdenken. Nur das Bewusstsein über die Existenz dieser Selbstüberschätzung kann uns helfen, diesen Umstand zu korrigieren. Rassistisch, geizig, narzisstisch oder unwissend sind nicht nur die anderen, sondern nicht selten wir selber. Wir sollten versuchen etwas bescheidener zu sein, uns selber und vor allem unsere Meinung ab und zu in Frage stellen und uns unserer eigenen Fehlbarkeit bewusst werden. Wir sollten nach einer Art Intellektueller Ehrlichkeit streben, was bedeutet, dass wir nach der Wahrheit suchen sollten, unabhängig davon, ob sie mit den eigenen persönlichen Überzeugungen übereinstimmt oder nicht. Unsere Annahmen und Vermutungen sind wie die Fenster durch die wir die Welt sehen. Schrubben wir sie von Zeit zu Zeit ab, sonst kommt kein Licht mehr hinein. Statt andere herunterzumachen, sie der Intoleranz zu bezichtigen oder sie zu belächeln, sollten wir uns selber den Spiegel vorhalten, unsere eigenen Vorurteile überprüfen und vermehrt über uns selber lachen.

  1. The „Better Than Myself Effect“; Mark D. Alice, Debbie S. Vredenburg et al. in „Motivation and Emotion“ (2001).

  2. The Illusion of Moral Superiority; Ben M. Tappen, Ryan T. McKay in „Social Psychological and Personality Science“ (19. 10.2016).

  3. Not your average bigot: the better-than-average effect and defensive responding to Implicit Association Test feedback; Jennifer L. Howell & Kate A. Ratliff in British Journal of Social Psychology, Volume 56, Issue 1 (6.10.2016).

  4. A Meta-analytic Review of Moral Licensing,Irene Blanken, Niels Van de Vehn, Marcel Zeelenberg in „Personality and Social Psychological Bulletin“ (25.2.2015)

  5. Of mice, men, and Trolleys: Hypothetical judgement versus real-life Behavior in Trolley-Style Moral Dilemmas; Dries H. Bostyen, Sybren Sevenhant, Arne Roots in „Psychological Science“ (9.5.2018)

  6. Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgment; Asch, S. E. in H. Guetzkow (ed.) „Groups, leadership and men“. Pittsburgh, PA: Carnegie Press (1951).

  7. Behavioral Study of Obedience. Stanley Milgram in „Journal of Abnormal and Social Psychology“, Band 67, (1963).

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