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Zehn Eigenschaften von kreativen Menschen


Kreativität ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Menschseins. Sie ist die grundlegende Eigenschaften, die uns als Individuen und als Spezies erfolgreich macht. Eines ist sicher: Die Menschheit braucht Kreativität, denn die Probleme werden nicht einfacher. Was unterscheidet nun aber kreative von "normalen" Menschen? Was für Eigenschaften haben kreative Menschen?




Erinnern Sie sich noch, als vor gerade einmal 14 Jahren, im 2007, das allererste IPhone-Modell erschienen ist?Damals waren Begriffe wie «Face-ID» oder «5G» höchstens Science Fiction Ideen. Die Kinder, die in diesem Jahr eingeschult werden, werden voraussichtlich im Jahre 2079 pensioniert. Wir können nur erahnen, wie stark sich die Welt in den nächsten sechzig Jahren verändern wird. Die Geschwindigkeit der Veränderung hat enorm zugenommen. Insbesondere die Weiterentwicklung im Bereich der Technologie und der Forschung schreitet in einem noch nie dagewesenen Tempo voran. Wir erleben heute innert weniger Jahren mehr Veränderungen als unsere vorherigen Generationen in einem ganzen Leben. Der technologische Fortschritt beeinflusst direkt unser Verhalten. Dies wiederum hat weiterreichende Konsequenzen. Unsere Art zu leben und somit auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Normen passen sich dem technologischen Fortschritt an und sind deshalb ebenfalls einem sich immer schneller vollziehenden Wandel unterworfen.


In seinem neuesten Buch «Ten lessons for Post-Pandemic World»[1] bringt es der berühmte Journalist Fareed Zakaria wie folgt auf den Punkt: «Wir haben eine Welt geschaffen, die ständig im Overdrive ist. Die menschliche Entwicklung hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten in jeder Hinsicht dramatisch beschleunigt, und dieses Tempo hat sich in den letzten Jahrzehnten noch weiter erhöht. Die Menschen leben länger, produzieren und konsumieren mehr, bewohnen grössere Räume, verbrauchen mehr Energie und erzeugen mehr Abfall und Treibhausgasemissionen. »


Im Jahr 1990 lebten 5,3 Milliarden Menschen auf der Erde, 2021 sind es 7.8 Milliarden. Auch wenn sich die Wachstumsrate verlangsamt, nimmt die Erdbevölkerung noch stetig zu. Es verwundert nicht, dass ein Expertenbericht der UN aus dem Jahre 2019[2] zum Schluss kommt, dass «die Natur weltweit in einem Tempo abnimmt, wie es in der Geschichte der Menschheit noch nie vorgekommen ist.» 75 % aller Landflächen und 66 % der weltweiten Meeresfläche sind gemäss diesem Bericht bereits stark durch das menschliche Handeln beeinträchtigt.


Auch die Arbeitswelt wird revolutioniert: Der technologische Fortschritt verändert die Art wie wir arbeiten, der gesellschaftliche Wandel verändert die Art der Zusammenarbeit und die sich verändernde Umwelt wird einen Einfluss auf den Ort der Arbeitstätigkeit haben.


Aufgaben und Prozesse mit einem geringen Grad an Komplexität und einem hohen Grad an Repetition werden zunehmend von Algorithmen und Robotern erledigt. Eine Entwicklung, die zwar keineswegs neu ist, das Tempo jedoch auch in diesem Bereich ständig höher wird. Lange ging man davon aus, dass vor allem handwerkliche Berufe durch den technologischen Fortschritt bedroht werden. Wissensbasierte Berufe galten als sichere Berufswahl, die Jahre des Studiums, die man braucht, um zum Beispiel Anwalt, ArchitektIn oder BuchhalterIn zu werden, gewährleisteten theoretisch eine lebenslange, lukrative Beschäftigung.


Die Entwicklung in den letzten Jahren zeichnet aber ein anderes Bild. Vor allem in Berufen, deren Anwendung grosses Fachwissen benötigt, werden Menschen zunehmend durch künstliche Intelligenz ersetzt. Menschliche Ärzte, Lehrer, Anwälte, Architekten könnten bald überflüssig werden. «Zwei besonders wichtige nichtmenschliche Fähigkeiten, über die künstliche Intelligenz verfügt, sind die Konnektivität und die Aktualisierbarkeit», schreibt Yuhal Hariri in seinem Buch «21. Lektionen für das 21. Jahrhundert.» Künstliche Intelligenz ist immer auf dem neuesten Forschungsstand. Von einem Arzt oder einem Lehrer, der vor mehreren Jahrzehnten seine Ausbildung abgeschlossen hat, kann dies kaum behauptet werden, auch wenn sie sich die grösste Mühe geben, auf dem Laufenden zu bleiben. Die Überlegenheit der Künstlichen Intelligenz zeigt sich auch darin, dass erfahrene Radiologen regelmässig von Mustererkennungssoftware und Diagnostiker von einfachen Computerfragebögen übertroffen werden.


Kahnemann erwähnt in seinem Buch «Schnelles Denken, langsames Denken»[3] eine Studie, welche den Effekt von Hunger und Müdigkeit auf die Urteile von Bewährungsrichter analysierte. Je müder und je hungriger die Richter waren, desto strenger fielen die Urteile aus. Andere Untersuchungen haben ergeben, dass die Rasse, aber auch das Geschlecht einen signifikanten Einfluss auf das Strafmass haben. So werden gemäss einer Studie aus den USA, Frauen, egal welcher Hautfarbe, signifikant weniger streng bestraft als Männer egal welcher Hautfarbe[4]. Künstlicher Intelligenz würden solche «menschlichen» Fehler nicht unterlaufen, auch nach einem 24 Stunden - Tag nicht.


Ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass wir in einer Welt des ständigen Wandels leben. Auch wenn es uns nicht gefällt, der Fortschritt und die Veränderung wird nicht aufzuhalten sein. Was bedeutet dies nun aber für die Kinder, die in diesem Jahr eingeschult werden? Sie werden so ausgebildet, dass sie den Anforderungen der heutigen Welt entsprechen mit Methoden, die sich gestern bewährt haben und durch Lehrer, die Vorgestern ausgebildet wurden. Helfen diese Methoden und der heute vermittelte Stoff unserer Jugend auch tatsächlich bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen?


Wenn man das heutige Ausbildungssystem betrachtet, so hat sich die Pädagogik zwar permanent verändert. Das Grundmodell der schulischen Ausbildung ist aber immer noch das Gleiche wie vor rund zweihundert Jahren.


In der Schweiz wurde der Schulunterricht mit der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 für obligatorisch erklärt. Bereits vor dem Obligatorium wurde in den Schulen nach dem Prinzip unterrichtet, dass die Lehrerin die wesentlichen Steuerungs-, Kontroll- und Bewertungsaufgaben übernimmt. Auch werden die Schüler seit jeher in Klassenzimmern, an Pulten sitzend im Kollektiv unterrichtet. Dieser heutige Unterrichtsstil wurde nicht unwesentlich durch die Industrialisierung beeinflusst. Bereits damals hatte sich die Gesellschaft parallel zu der technischen Entwicklung verändert. Mit der Industrialisierung veränderte sich die Art und Weise, wie wir arbeiten und somit brauchte die Gesellschaft auch eine neue Art von Arbeitskräften. Fabrikbesitzer brauchten fügsame, angenehme Arbeiter, mit einer gewissen Grundausbildung, die pünktlich erscheinen und tun, was ihre Chefs von ihnen verlangen. Den ganzen Tag mit einem befehlshabenden Lehrer in einem Klassenzimmer zu sitzen, war ein gutes Training für die künftige Arbeitstätigkeit.


Nun, da wir uns in eine neue, postindustrielle Ära begeben, lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob dieses Modell tatsächlich noch sinnvoll ist und ob wir in den Schulen wirklich das notwendige Rüstzeug zum Reüssieren in der Zukunft erhalten. Sollte nicht vermehrt das Erlernen von universell anwendbaren Lebensfertigkeiten ins Zentrum rücken, statt sich weiterhin vor allem auf den Erwerb von technischem Können zu konzentrieren?


Es ist meine Überzeugung, dass die Anpassungsfähigkeit zur wichtigsten Fähigkeit überhaupt werden wird. «Nicht die stärksten oder die intelligentesten Spezies werden überleben, sondern diejenigen, die sich am schnellsten anpassen» hat Charles Darwin bereits im 19. Jahrhundert erkannt. Da sich der Wandel in der Arbeitswelt aber auch im gesellschaftlichen Zusammenleben beschleunigt, wird die Anpassungsfähigkeit eines jeden einzelnen Menschen künftig stark auf die Probe gestellt.


Die Erfolgsgeschichte des Menschen ist das Resultat der menschlichen Anpassungsfähigkeit. Die Grundlage für die Anpassungsfähigkeit ist die Kreativität.


Was uns von anderen Lebewesen unterscheidet - unsere Sprache, unsere Werte, unser künstlerischer Ausdruck, unser wissenschaftliches Verständnis, die Kooperation und unsere Technologie - ist das Ergebnis von individuellem Einfallsreichtums, der erkannt, belohnt und durch Lernen weitergegeben wurde.


Was sind nun die Charakteristika von kreativen Individuen? Der ehemalige Professor der University of Chicago, der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi (ausgesprochen: me-HIGH chick-sent-me-HIGH-ee), hat diese Frage in seinem Buch «Creativity – The work and lives of 91 eminent people» versucht zu beantworten. Miahly Csikszentmihalyi ist ihnen vielleicht bekannt, weil er das «Flow-Erleben» erforscht und beschrieben hat. Sein Buch «Flow – der Weg zum Glück» ist seit 1990 ein Bestseller.


Mihaly Czikszentmihalyi kommt zu folgendem Schluss:


«Ich habe 30 Jahre lang erforscht, wie kreative Menschen leben und arbeiten, um den geheimnisvollen Prozess, durch den sie auf neue Ideen und neue Dinge kommen, verständlicher zu machen. Wenn ich in einem Wort ausdrücken müsste, was ihre Persönlichkeiten von anderen unterscheidet, dann ist es Komplexität. Sie zeigen Tendenzen des Denkens und Handelns, die bei den meisten Menschen abgesondert sind. Sie enthalten widersprüchliche Extreme; statt ein Individuum zu sein, ist jeder von ihnen eine Vielheit.»


Mihaly beschreibt zehn oft widersprüchliche Eigenschaften, die bei kreativen Menschen häufig zu finden sind.


1. Kreative Menschen haben viel körperliche Energie, sind aber auch oft ruhig und in sich ruhend


Kreative Menschen sind in der Lage lange und konzentriert zu arbeiten, während sie gleichzeitig Frische und Begeisterung ausstrahlen.


Diese Eigenschaft bedingt eine gute körperliche Fitness. Kreative Menschen sind in der Regel auch fitte Menschen. Dies zieht sich bis ins hohe Alter durch. Es ist aber nicht so, dass fitte Menschen gleichzeitig auch kreativ sind. Vielmehr ist es so, dass kreative Menschen über innere Energie verfügen, die sie auch zu sportlicher Betätigung treibt. Nun könnte man meinen, dass kreative Menschen hyperaktiv sind und sich ständig im «roten» Bereich bewegen. Der Psychologe Mihaly Czikszentmihalyi hat aber genau das Gegenteil herausgefunden. Kreative Menschen ruhen sich oft aus und erscheinen für Beobachter phasenweise als faul.


Das Spannende ist, dass sie ihre Energie selber kontrollieren; sie lassen sich nicht durch externe Einflüsse, wie Checklisten, Kalender oder einen externen Zeitplan dominieren. Wenn es nötig ist, können sich kreative Menschen messerscharf fokussieren und viele Stunden konzentriert arbeiten; wenn es aber nicht nötig ist, sind kreative Menschen in der Lage abzuschalten und laden so ihre Batterien wieder auf. Kreative Menschen schreiben dem Rhythmus von Aktivität gefolgt von Müssiggang und Nachdenken für den Erfolg ihrer Arbeit hohe Bedeutung zu. Laut Mihaly Czikszentmihalyi ist diese Vorgehensweise das Resultat von Versuch und Irrtum zur Erreichung ihrer Ziele.


Mihaly Czikszentmihalyi schreibt: «Eine Manifestation der Energie ist die Sexualität. Kreative Menschen sind auch in dieser Hinsicht paradox. Sie scheinen eine ziemlich starke Dosis an Eros oder allgemeiner libidinöser Energie zu haben, die sich bei einigen direkt in Sexualität ausdrückt. Gleichzeitig ist auch eine gewisse spartanische Enthaltsamkeit Teil ihres Wesens; Enthaltsamkeit geht tendenziell mit überlegener Leistung einher. Ohne Eros wäre es schwierig, das Leben mit Elan in Angriff zu nehmen; ohne Beherrschung könnte sich die Energie leicht verflüchtigen».


2. Kreative Menschen sind gleichzeitig klug und naiv


Mihaly Czikszentmihalyi geht davon aus, dass eine überdurchschnittliche Intelligenz für Kreativität zwingend ist. Eine hohe Intelligenz alleine reicht aber nicht aus. «Ein scharfer Verstand kann Kreativität auch negativ beeinflussen», weil Menschen mit einem hohen IQ auch zu einer gewissen Selbstgefälligkeit neigen und ihre Neugier verlieren. «Das Lernen von Fakten, die Verinnerlichung der bestehenden Regeln einer Domäne fällt einer Person mit hohem IQ unter Umständen so leicht, dass sie keinerlei Anreiz verspürt, das bestehende Wissen zu überprüfen, zu bezweifeln oder zu verbessern. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb Goethe und andere die Naivität zur wichtigsten Eigenschaft eines Genies erklärten», schreibt der Psychologe.


«Es geht um Geläufigkeit, oder die Fähigkeit, eine große Menge an Ideen zu generieren; Flexibilität, oder die Fähigkeit, von einer Perspektive zur anderen zu wechseln; und Originalität bei der Auswahl ungewöhnlicher Assoziationen von Ideen. Dies sind die Dimensionen des Denkens, die die meisten Kreativitätstests messen und die die meisten Workshops zu verbessern versuchen.»


Diese Naivität oder Kindlichkeit führt nicht selten dazu, dass kreative Menschen von anderen Menschen abschätzig angesehen werden. Es führt auch dazu, dass kreative Menschen bisweilen in gesellschaftliche Fallen treten, weil sie gesellschaftlichen Normen weniger Bedeutung zumessen, als der Rest der Gesellschaft.


3. Die paradoxe Verbindung von Disziplin und Verspieltheit sowie Verantwortungsgefühl und Ungebundenheit


Eine spielerische, entspannte Haltung ist zweifellos typisch für kreative Individuen. Während die meisten Menschen zuweilen unter der gefühlten Ernsthaftigkeit einer Situation fast zerbrechen, erscheinen kreative Menschen immer entspannt und finden fast immer auch noch etwas Scherzhaftes. Genau diese Fähigkeit erlaubt es kreativen Menschen auch in stressigen Situationen Lösungen zu finden. Der 2002 verstorbene bekannte amerikanische Soziologe David Riesman nannte dieses Phänomen die «distanzierte Nähe». Diese «Distanzierte Nähe» verunsichert wiederum viele Menschen. Kreativen Menschen werden nicht selten als unseriös wahrgenommen, weil es ihnen scheinbar an Ernsthaftigkeit fehlt.


Mihaly Czikszentmihalyi betont aber, dass dieses Spielerische alleine nicht genügt, um kreativ zu sein. Ohne Beharrlichkeit und harte Arbeit kann man weder eine neue Idee verwirklichen noch die Hindernisse überwinden, welche einer kreativen Person unweigerlich in den Weg gelegt werden.


«Trotz der sorglosen Art, die viele kreative Personen auszeichnet, arbeiten die meisten bis tief in die Nacht und bleiben hartnäckig, wo weniger besessene Menschen aufgeben würden.»



4. Kreative Menschen wechseln zwischen Imagination und Phantasie auf der einen und einem bodenständigen Realitätssinn auf der anderen Seite hin und her.


«Zu grosser Kunst und grosser Wissenschaft gehört, dass man einen Sprung in die Phantasie macht und sich in eine andere Welt versetzt», schreibt Mihaly Czikszentmihayi. Die meisten Menschen halten neue Ideen für Hirngespinste und kindliche Phantastereien, die keinen Bezug zur Realität haben. Diese Einschätzung ist meistens wohl auch richtig. Aber eben nur meistens.


Kreative Menschen haben einen starken Realitätssinn. Dies hilft es ihnen auch Ideen zu entwickeln, die zwar auf den ersten Blick als unmöglich erscheinen, sich dann aber tatsächlich durchsetzen. Man braucht ein klares Wissen über die Realität damit man umsetzbare neue Ideen überhaupt entwickeln kann. Mihaly Czikszentmihayi schreibt in diesem Zusammenhang: «Normalbürger sind selten originell, aber mitunter bizarr. Kreative Menschen sind offenbar originell, ohne bizarr zu sein. Das Neue, das sie erkennen, ist in der Realität verankert.»


Schlussendlich gäbe es keinen Fortschritt, wenn wir die Grenzen dessen, was wir heute als normal betrachten, nicht überschreiten würden. Durch genau dieses Überschreiten wird die Realität neu definiert. Und deshalb braucht es Menschen, welche realistisch erkennen, wie die Realität neu definiert werden kann.


5. Kreative Menschen neigen dazu, sowohl extrovertiert als auch introvertiert zu sein


Normalerweise sind wir entweder das eine oder das andere. Die einen bevorzugen es, mitten im Getümmel zu sein, die anderen am Rande zu sitzen und das Geschehen zu beobachten. Tatsächlich gelten in der psychologischen Forschung Extraversion und Introversion als sehr stabile individuellen Unterscheidungsmerkmale, die zuverlässig gemessen werden können.


Kreative Menschen hingegen scheinen beide Eigenschaften gleichzeitig zu haben.


Kreative Menschen suchen den Austausch mit anderen Menschen, weil sie generell grosses Interesse haben, weil sie einen solchen Austausch nicht nur als unterhaltend, sondern als bereichernd empfinden. Wenn kreative Menschen aber eine Idee verfolgen, dann können sie extrem fokussiert sein und erscheinen dannzumal geistig abwesend.


Auch dieses Paradox kann Mitmenschen verunsichern, weil es nicht ins gängige Schema passt.


6. Kreative Menschen sind bescheiden und stolz zugleich


Ein weiteres scheinbar widersprüchliches Merkmal kreativer Menschen ist die gezeigte Mischung aus Stolz und Demut.


Gemäss Mihaly Czikszentmihayi sind kreative Menschen viel stärker als normale Menschen der Ansicht, dass der Zufall beim Erfolg eine wichtige Rolle spielt. Auch fokussieren kreative Menschen nicht auf vergangene Errungenschaften, sondern auf künftige Projekte.


Die grosse deutsche, im Jahre 2010 verstorbene Kommunikationswissenschafterin Elisabeth Noelle-Neumann entgegnete auf die Frage: «Was erfüllt Sie mit dem grössten Stolz?» folgendes:


«Ich denke nicht darüber nach, worauf ich stolz bin. Ich schaue niemals zurück, es sei denn, um Fehler aufzudecken. Weil man Fehler leicht vergisst und schwer daraus lernt. Aber in jeder anderen Beziehung halte ich es für gefährlich, an frühere Erfolge zurückzudenken. Wenn man mich fragt, ob ich stolz auf etwas bin, zucke ich nur die Achseln und hoffe, so schnell wie möglich wegzukommen. Ich sollte vielleicht erklären, dass ich grundsätzlich nach vorn schaue; alle meine angenehmen Gedanken drehen sich um die Zukunft.»


Dass sich die kreativen Menschen aber durchaus ihrer Errungenschaften und ihrer zuweilen Andersartigkeit bewusst sind, zeigt sich in ihrem überdurchschnittlichen Selbstbewusstsein.


Interessant ist auch die Feststellung, dass kreative Menschen zwar durchaus ehrgeizig und aggressiv vorgehen, ihr eigenes Wohlbefinden und Weiterkommen aber immer dem Erfolg des Projektes unterordnen. Auch dies sorgt bei den normalen Menschen für Verwirrung. Da die meisten Menschen egozentriert sind, ist es für sie nicht nachvollziehbar, dass jemand den Erfolg eines Projektes über das Erklimmen der persönlichen Karriereleiter stellt.



7. Kreative Menschen entkommen bis zu einem gewissen Grad der starren Geschlechterrollenstereotypisierung


Dies ist ein ganz spannender Punkt: «In allen Kulturen werden Männer dazu erzogen, ihre »männlichen« Eigenschaften herauszubilden und andere Aspekte ihres Charakters zu ignorieren oder zu unterdrücken, die von der Gesellschaft als »weiblich« definiert werden. Von Frauen wird das Gegenteil erwartet. Kreative Individuen entfliehen in gewisser Weise dieser rigiden Rollenverteilung. Tests über die »Maskulinität/Femininität« bei Jugendlichen ergeben immer wieder, dass kreative und begabte Mädchen dominierender und durchsetzungsfähiger sind als andere Mädchen und dass kreative Jungen sensibler und weniger aggressiv sind als ihre männlichen Altersgenossen.


Diese Neigung zur Androgynität wird mitunter in rein sexuellem Sinn gedeutet und mit Homosexualität verwechselt. Aber psychologische Androgynität ist ein wesentlich umfassenderer Begriff, der sich auf die Fähigkeit bezieht, gleichzeitig aggressiv und fürsorglich, sensibel und hart, dominierend und nachgiebig zu sein, unabhängig vom Geschlecht.


Eine psychologisch androgyne Person verdoppelt im Effekt ihr Verhaltensrepertoire, was ihr ein wesentlich reicheres Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten eröffnet. Es ist nicht überraschend, dass kreative Individuen häufig nicht nur die Stärken ihres eigenen sozialen Geschlechts, sondern auch die des anderen aufweisen.»


Kreative Menschen neigen generell auch viel weniger zu Stereotypisierung. Sie erkennen faszinierende Facetten in allen Lebensweisen. Dieser unverkrampfte Umgang mit sämtlichen Menschen und Kulturen, nicht nur jenen, die vom Zeitgeist gerade akzeptiert werden, ist ebenfalls für das Gros der Menschen schwierig einzuordnen. Kreative Menschen wollen verstehen, statt einfach zu verurteilen.


8. Kreative Menschen sind sowohl rebellisch als auch konservativ


Kreative Menschen gelten im Allgemeinen als rebellisch und unabhängig. Mihaly Czikszentmihayi ist aber überzeugt, dass man nur kreativ sein kann, wenn man zunächst eine bestimmte kulturelle Domäne verinnerlicht hat. Man kann nur ausserhalb der Box denken, wenn man die Box überhaupt kennt.

Für Mihaly Czikszentmihayi ist es schwer vorstellbar, wie eine Person kreativ sein sollte, ohne sowohl traditionell und konservativ als auch rebellisch und bilderstürmerisch zu sein. «Wer nur die Tradition im Auge hat, kann eine Domäne nicht verändern; wer nur das Neue sucht, ohne einen Gedanken an frühere Werte zu verschwenden, wird selten anerkannte Verbesserungen bewirken»


9. Leidenschaft vs. Objektivität


Die meisten kreativen Personen bringen sehr viel Leidenschaft für ihre Arbeit auf, und können ihr doch auch mit einem Höchstmass an Objektivität begegnen. Der Grund ist relativ klar. Ohne Leidenschaft verliert man schnell das Interesse an einer schwierigen Aufgabe. Aber ohne Objektivität leidet die Qualität und die Glaubwürdigkeit der Arbeit.


10. Die Offenheit und Sensibilität kreativer Menschen setzt sie oft Leid und Schmerz, aber auch viel Freude aus

Die Tatsache, dass sich kreative Menschen exponieren, macht sie angreifbar und verletzlich. Non-konformes Denken und Handeln fordern Kritik und häufig auch bösartige Angriffe heraus.


Auch das widersprüchliche und für normale Menschen schwer fassbare Wesen von kreativen Menschen verleitet zu Abneigung gegenüber ihnen. Kreative Menschen werden als Ketzer wahrgenommen, welche den Status Quo und somit auch herrschende Machtstrukturen in Frage stellen. Dies, obwohl es den kreativen Menschen kaum um die persönliche Macht geht, als vielmehr um den Fortschritt und das Sammeln von Erkenntnissen.


Auf der anderen Seite erfahren kreative Menschen auch viel Freude, nämlich dann, wenn sie ihre Projekte zum Erfolg bringen. Von allen menschlichen Aktivitäten, so Mihaly Czikszentmihayi kommt die Kreativität der Erfüllung, die wir uns alle im Leben erhoffen, am nächsten. Kreative Menschen finden Sinn und Freude im Chaos der Existenz. Diese Freiheit macht sie für die Gesellschaft wiederum unheimlich, weil sie unfassbar und unkontrollierbar zu sein scheinen. Die Erfolge von kreativen Menschen schüren auch den Neid.


Kreative Menschen erfahren so nicht selten sowohl grosse Freude wie auch grosse Abneigung und Enttäuschung gleichzeitig.


Es ist aber wohl gerade diese paradoxe Persönlichkeit, welche einer der Schlüssel zur Kreativität darstellt. Und wenn die Kreativität und die damit verbundene Anpassungsfähigkeit der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft unserer Menschheit ist, dann sollten wir anfangen in unserer Gesellschaft, in den Schulen, in den Organisationen und Unternehmungen günstige Voraussetzungen zur Entfaltung der Kreativität zu schaffen.


Denn kreative Menschen verfügen über die erstaunliche Fähigkeit, sich fast jeder Situation anzupassen und sich mit dem zu behelfen, was gerade zur Verfügung steht, um ihre Ziele zu erreichen, schreibt Mihaly Czikszentmihayi. Wie wir nun gemerkt haben, ist diese Eigenschaft, in einer sich so schnell verändernden Welt, von höchster Bedeutung.


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