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Martin Luther King über den Nutzen kreativer Spannung



Was Martin Luther King von Moderaten hält, wieso man gewisse Gesetze brechen soll und warum es nicht schlimm ist, wenn man als ein Extremist bezeichnet wird. Diese und weitere Lehren des grossen Martin Luther King.



Jeweils am dritten Montag des Monats Januar feiern die Amerikaner den Martin Luther King Day. Damit ehren sie die Leistungen des bedeutendsten Bürgerrechtsaktivisten der USA. Der nationale Feiertag ist angelehnt an Kings Geburtstag, welcher der 15. Januar ist. Es war Ronald Reagan, der 1983 das Gesetz zur Einführung des Martin Luther King Tages in Kraft setzte.


In diesem Jahr fiel der MLK Day auf den 17. Januar. Aus diesem Grund habe ich mir kürzlich wieder einmal einige seiner Reden und Vorträge angehört und einige seiner Texte gelesen. Es wäre sehr wertvoll, wenn wir uns diese Texte von Martin Luther King regelmässig zu Gemüte führen würden. Gerade in den heutigen Zeiten, wo sich die Gesellschaft zunehmend spaltet, wo jede Seite davon überzeugt ist, dass sie richtig liegt und wo gewisse Kreise der Glauben sind, dass andersdenkende Menschen ausgegrenzt, zensuriert oder schikaniert werden dürften, sin Kings Aussagen meines Erachtens wieder sehr aktuell.



Martin Luther King, der am 15, Januar 1929 zur Welt kam und am 4. April 1968 ermordet wurde, hat sich gegen die Rassentrennung und für die Rechte der Schwarzen in den USA eingesetzt. Sein Engagement auf die Rassentrennung zu reduzieren, geht meines Erachtens aber zu wenig weit. Martin Luther kämpfte vor allem für die Freiheit. Die Freiheit der gesamten Menschheit.


Martin Luther King war auch ein hervorragender Redner und Autor. Es gelang ihm, seine Gedanken so in Worte zu fassen, dass diese von allen Menschen verstanden wurden. Seine Argumentationslinie war logisch und durchdacht. Die Versuche die Rassentrennung zu rechtfertigen, hielten der Stringenz von Martin Luther Kings Überlegungen nicht stand. Aus diesem Grund brauchte King auch nie aggressiv zu werden.


Schauen wir die heutigen Politikerinnen oder selbsternannten Aktivistinnen an. Statt zu argumentieren, wird getobt und zerstört. Statt zu überzeugen wird versucht den Gegner niederzuschreien, ihn zu verunglimpfen oder sonst wie mundtot zu machen. Martin Luther King hingegen begegnete seinen Gegnern stets mit dem notwenigen Respekt und Anstand.


Martin Luther King wurde nie als Fanatiker wahrgenommen, weil er das auch nicht war. Er war ein Kämpfer für die Freiheit, der seine Überzeugungen auf einer soliden Grundlage aufgebaut hatte. Seine Überlegungen hielten jeglicher Kritik stand, weil sie durchdacht und gefestigt waren.


Für den bedeutende Schweizer Psychiater und Psychoanalyst Carl Gustav Jung ist Fanatismus ein Zeichen innerer Skepsis. Fanatismus, so Carl Gustav Jung, findet sich nur bei solchen, die innere Zweifel zu übertönen haben. King hatte keine inneren Zweifel.


Wenn ich heute einen Blick in die Medien, die Politik oder die Sozialen Medien werfe, dann habe ich den Eindruck, dass es ganz viele Menschen gibt, die innere Zweifel zu übertönen haben. Nehmen wir zum Beispiel den Fanatismus, der im Zusammenhang mit den Covid-Massnahmen oder mit dem Klima an den Tag gelegt wird, und zwar hüben wie drüben, egal auf welcher Seite man steht.


Kommen wir aber zurück zu Martin Luther King.


Am Karfreitag 1963 marschierte Martin Luther King an der Spitze eines Protestzuges in Birmingham/Alabama. Die Absicht der Bürgerrechtler war es, zum Boykott von Geschäften während der Osterzeit aufzurufen. Man wollte den weissen Ladenbesitzern die Bedeutung der schwarzen Konsumenten vor Augen führen um so die Unterstützung der Unternehmer von kleineren und mittleren Betrieben zu erhalten. Lediglich die Weihnachtszeit war nämlich für die Ladenbesitzer noch wichtiger als die Osterzeit.


Kurz vor der ordentlich angemeldeten Demonstration wurde dieser durch ein Gericht die Bewilligung verwehrt.

Dies mit fadenscheinigen, nicht nachvollziehbaren Begründungen. Martin Luther King entschied sich in der Folge, die Demonstration trotzdem, also auch ohne Bewilligung durchzuführen.


Während sich die Demonstranten strikte an das durch Martin Luther King verordnete Gebot der «Gewaltlosigkeit» hielten, ging der Staat mit aller Gewalt gegen die protestierenden Menschen vor.


Martin Luther King wurde verhaftet. Im Gefängnis erfuhr King, dass acht moderate Geistliche eine Medienmitteilung verfasst hatten, in welcher sie sich zwar prinzipiell gegen die Rassentrennung stellten, gleichzeitig aber das Vorgehen der Demonstranten und von Martin Luther King kritisierten.


Dies veranlasste King, im Gefängnis eine ausführliche Antwort auf Zeitungspapier zu verfassen. Sein Anwalt schmuggelte die 7'000 Wort lange Schrift aus dem Gefängnis. Dieser wortgewaltige Aufruf zu "konstruktiven, gewaltfreien Spannungen", um ein Ende der ungerechten Gesetze zu erzwingen, wurde zu einem wegweisenden Dokument der Bürgerrechtsbewegung. Der Brief wurde teilweise oder vollständig von mehreren Zeitungen abgedruckt.


Folgend gehe ich auf einige Ausschnitte dieses Briefes ein. (Das gesamte Dokument findet ihr hier)


Der Brief beginnt wie folgt:


«Während ich hier im Gefängnis von Birmingham inhaftiert bin, bin ich auf Ihre kürzlich veröffentlichte Stellungnahme gestoßen, in der Sie unsere derzeitigen Aktivitäten als "unklug und ungelegen" bezeichnen. Selten, wenn überhaupt, halte ich inne, um auf Kritik an meiner Arbeit und meiner Ideen zu antworten. Wenn ich versuchen würde, auf jede Kritik zu reagieren, wären meine Sekretärinnen den ganzen Tag über mit wenig anderem beschäftigt, und mir bliebe keine Zeit für konstruktive Arbeit.


Da ich aber das Gefühl habe, dass Sie Menschen mit echtem gutem Willen sind und Sie Ihre Kritik aufrichtig vorgetragen haben, möchte ich Ihnen in einer, wie ich hoffe, geduldigen und vernünftigen Form antworten.»


Wenn man sich exponiert, sei es im Beruf, in der Gesellschaft oder auch nur auf den sozialen Medien, dann wird man unweigerlich auch Kritik zu hören bekommen.


Was uns Martin Luther King hier lehrt ist, dass es sich nur in ganz seltenen Fällen lohnt, auf diese Kritik einzugehen. Nämlich dann, wenn die Kritik ehrlich und von gutmeinenden Menschen vorgetragen wird.


Wer aber auf jede Kritik reagiert und sich ständig versucht zu rechtfertigen, der verschwendet lediglich seine Zeit. Zeit die man nutzen könnte, um konstruktiv für seine Sache, an die man glaubt, zu arbeiten.


Einer der Kritikpunkte, die an Martin Luther King gerichtet worden war, war, dass er sich als Auswärtiger in eine lokale Angelegenheit eingemischt habe. Das Problem sei eines der Stadt Birmingham und gehe deshalb auswärtige Menschen nichts an, so die moderaten Geistlichen in ihrer Kritik.


Martin Luther King antwortete darauf meines Erachtens geschickt. Denken Sie daran, dass seine Antwort an Geistliche gerichtet war. Folgendes hat er ihnen geschrieben:


«Ich bin in Birmingham, weil die Ungerechtigkeit hier ist. So wie die Propheten des achten Jahrhunderts ihre kleinen Dörfer verliessen und das «Wort Gottes» weit über die Grenzen ihrer Heimatstädte hinaus trugen; und so wie der Apostel Paulus sein kleines Dorf Tarsus verliess und das Evangelium Jesu Christi in praktisch jeden Weiler und jede Stadt der griechisch-römischen Welt trug, so bin auch ich gezwungen, das Evangelium der Freiheit über meine Heimatstadt hinaus zu tragen. Wie Paulus bin ich gezwungen immer wieder auf den mazedonischen Hilferuf zu reagieren.»


In seiner Antwort spricht Martin Luther King die Sprache seiner Adressaten. Da Martin Luther King selbst ein Geistlicher war, fiel ihm dies sicher auch etwas einfacher. Bemerkenswert ist auch, dass er den Geistlichen keinen Vorwurf macht, er sagt nicht: «Ihr handelt unchristlich», er sagt lediglich, dass er christlichen Vorbildern folgt.


Weiter schreibt King:


«Ausserdem bin ich der Ansicht, dass alle Gemeinschaften und Bundesstaaten miteinander verbunden sind. Ich kann nicht in Atlanta untätig herumsitzen und mich nicht darum kümmern, was in Birmingham geschieht. Ungerechtigkeit, egal wo diese vorkommt, ist immer eine Bedrohung für die Gerechtigkeit überall. Wir sind in einem unausweichlichen Netz der Gegenseitigkeit gefangen, das in ein einziges Gewand des Schicksals eingebunden ist. Was immer einen Menschen direkt betrifft, wirkt sich indirekt auf uns alle aus.»


Menschen sind sehr gut dabei auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen, von denen sie selbst unmittelbar negativ betroffen sind. Wenn man aber selbst von der Ungerechtigkeit profitiert, dann wird darüber hinweggeschaut. Nicht selten ist der Schrei nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit nur das Verlangen nach einer persönlichen Besserstellung und nicht nach einer Verbesserung der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. Dies zeigt sich vor allem auch dadurch, dass offensichtlich ungerechte staatliche Eingriffe, damit begründet werden, mehr Gerechtigkeit und Gleichheit zu schaffen.


Wir müssen versuchen gesamtheitlich zu denken und uns bewusst werden, dass wir Menschen eben in einem Netz der Gegenseitigkeiten gefangen sind. Wenn einem Mensch Ungerechtigkeit widerfährt, wenn ein Mensch in seiner Würde missachtet wird, dann ist die Welt als gesamtes ein ungerechter Platz.


Die Geistlichen kritisierten auch die Tatsache, dass die Demonstration trotz fehlender Bewilligung durchgeführt wurde. Martin Luther King anerkennt diese Kritik entgegnet darauf aber wie folgt:


«Ich bedaure jedoch, dass Sie in Ihrer Erklärung nicht in ähnlicher Weise auf die Bedingungen eingegangen sind, die zu den Demonstrationen geführt haben. Ich bin sicher, dass jeder von Ihnen über den oberflächlichen Sozialanalytiker hinausgehen möchte, der nur die Auswirkungen betrachtet und sich nicht mit den zugrunde liegenden Ursachen auseinandersetzt. Ich zögere nicht zu sagen, dass es bedauerlich ist, dass in Birmingham derzeit Demonstrationen stattfinden, aber ich betone noch nachdrücklicher, dass es noch bedauerlicher ist, dass die weisse Machtstruktur dieser Stadt der schwarzen Gemeinschaft keine andere Wahl gelassen hat.»


Persönlich mache ich immer wieder die Beobachtung, dass wir bei der Beurteilung und Verurteilung von Ereignissen viel zu oberflächlich sind. Nicht selten erklärt man sich Ereignisse mit den uns passenden Ursachen. Wir Menschen haben die Tendenz uns selbst die Welt so zu erklären, dass sie in unser persönliches Weltbild passt. Wie verschliessen die Augen vor unangenehmen Wahrheiten und suchen stattdessen nach Bestätigung unseres Weltbildes.


Die Frage nach der Ursache, wieso es überhaupt zu Demonstrationen kommt, wieso Menschen so denken und handeln, wie sie es eben tun, ist aber von grosser Bedeutung. Wenn wir eine Antwort finden, dann ist dies weitaus wertvoller und nützlicher als die simple Schubladisierung und Verurteilung der Andersdenkenden.


Die Geistlichen kritisierten weiter, dass Martin Luther King mit seinen Aktionen zivilen Ungehorsam betrieben hat. King erklärt daraufhin die Etappen eines gewaltfreien Protests. Es sind dies:


1. Gründliche Analyse der Faktenlage. Die Situation muss von allen Seiten durchleuchtet werden. Die Ungerechtigkeit muss felsenfest belegt werden können.


2. Verhandlungen. Ausgerüstet mit den Fakten sitzt man nun mit der anderen Seite an einen Tisch und versucht diese zu überzeugen, dass Änderungen notwendig sind. Es geht dabei nie um Sieg und Niederlage für eine Seite, sondern darum, dass man die Gesamtheit weiterbringt, indem man eben eine ungerechte Situation korrigiert.


3. Selbstreinigung (Self Purification): Wenn die Verhandlungen keine Früchte tragen, kommt der Prozess der Selbstreinigung. Selbstreinigung ist ein Prozess, bei dem der Einzelne seine Ideale überdenkt und sich darauf vorbereitet, mit dem emotionalen Tribut, der die künftigen Situationen fordern werden, umzugehen.


King betont, dass dies sowohl für den Geisteszustand des Einzelnen als auch für das allgemeine Wohlergehen der Bewegung von Bedeutung ist.


Mittels Meditation, Selbstreflektion, und Gebet wird der eigene Standpunkt getestet. Mit Rollenspielen und Diskussionen werden mögliche Szenarien durchgespielt. Damit soll sichergestellt werden, dass niemand im Affekt handelt und dass der Verstand auch in heiklen Situationen immer gegenüber den Emotionen dominiert.


4. Direct Action: Darunter versteh King das, was man als wohlüberlegten zivilen Ungehorsam bezeichnen kann. Dazu gehören Sitzstreiks, Boykotte und Protestzüge. Nicht aber Sachbeschädigung oder Gewalt.


Meines Erachtens sind diese Schritte nicht nur bei Massenbewegungen von Nutzen, sie können auch von einzelnen Menschen bei Konfliktsituationen im Alltag angewendet werden. Gerade den Schritt der Self-Purification, das sich überlegen, ob man bereit ist den emotionalen Preis für die Konsequenzen eines Entscheides zu bezahlen, finde ich persönlich sehr wertvoll.


Den Sinn der direct actions erklärt King wie folgt:


«Gewaltfreie direkte Aktionen zielen darauf ab, eine derartige Krise zu erzeugen und eine so kreative Spannung aufzubauen, dass eine Gemeinschaft, die sich stets geweigert hat, zu verhandeln, gezwungen ist, sich dem Thema zu stellen. Das Problem soll so dramatisiert werden, dass es nicht mehr ignoriert werden kann.


Obwohl ich stets ernsthaft gegen gewaltsame Spannungen eingetreten bin und dagegen gepredigt habe, gibt es eine Art konstruktiver, gewaltfreier Spannungen, die für das Wachstum notwendig sind.


So wie Sokrates es für notwendig hielt, eine Spannung im Geist zu erzeugen, damit sich der Einzelne aus den Fesseln der Mythen und Halbwahrheiten in den ungehinderten Bereich der kreativen Analyse und objektiven Beurteilung erheben kann, müssen wir die Notwendigkeit gewaltfreier Störenfriede in der Gesellschaft erkennen, Störenfriede, welche jene gesellschaftliche Spannung kreieren, die den Menschen hilft, sich aus den dunklen Tiefen von Vorurteilen und Rassismus in die majestätischen Höhen von Verständnis und Brüderlichkeit zu erheben.


Der Zweck der direkten Aktion besteht also darin, eine Situation zu schaffen, die so krisenhaft ist, dass sie unweigerlich die Tür zu Verhandlungen öffnet.»


Es ist auch meine Meinung, dass sowohl das Individuum wie die Gesellschaft das braucht, was Martin Luther King an einer anderen Stelle «kreative Spannung» nennt.


Solche kreative Spannung entsteht, indem man den Status Quo immer wieder hinterfragt, indem man seine eigene Meinung, seine eignen Glaubenssätze immer wieder kritisch hinterfragt. Man kann solche Spannung erzeugen, indem man sich bewusst und offen mit andersdenkenden Menschen oder anderen Kulturen und Lebensstilen auseinandersetzt und versucht deren Sichtweise einzunehmen.


In der Gesellschaft sind es die Non-Konformisten, diejenigen, welche gesellschaftliche Normen in Frage stellen oder sich nicht an sie halten, welche den Status Quo in Frage stellen und so «kreativen Spannungen» herbeiführen. Statt diese Leute zu verurteilen und sie aus unseren Organisationen auszuschliessen, sollte man diese miteinbeziehen, solange sie gewaltfrei und nicht toxisch sind.


Einen ähnlichen Effekt haben Krisen. Krisen zwingen die Gesellschaft dazu aus der Komfortzone zu treten und genau dort, ausserhalb der Komfortzone werden wir kreativ und finden neue Lösungen, die uns weiterbringen. Da Direct action in Form von zivilem Ungehorsam zu Krisen führen, öffnen sie die Türen für neue bessere Lösungen.


Ein meines Erachtens sehr interessanter Abschnitt ist jener, wo Martin Luther King den Zeitpunkt des Protests begründet. Die Kleriker hatten die Meinung geäussert, dass die Proteste zu früh kamen, dass die Zeit noch nicht reif sei für die geforderte Veränderung.


«Aus der unendlichen Geschichte ist bekannt, dass privilegierte Gruppen ihre Privilegien nur selten freiwillig aufgeben. Einzelne mögen das moralische Licht sehen und ihre ungerechte Haltung freiwillig aufgeben; aber, wie Reinhold Niebuhr uns in Erinnerung gerufen hat, sind Gruppen unmoralischer als Einzelne.

Wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, dass die Herrschenden den Beherrschten niemals freiwillig Freiheit abgegeben; sie muss von den Beherrschten eingefordert werden.»


Ja, es ist so. Wer einmal Macht hat, gibt diese kaum freiwillig ab. Dies gilt für Individuen, Gruppen, Organisationen und Regierungen.


Auch, dass das Kollektiv eine eigene Psyche hat, die Masse unmoralischer handelt als der einzelne Mensch, ist meines Erachtens eine Tatsache.


Wir sollten deshalb immer ein wachsames und kritisches Auge auf jene haben, die in einem Staat die Macht besitzen. Wir sollten zum Eigenschutz auch zulassen, dass wir, wenn wir in einer Führungs- oder Machtposition sind, kritisch hinterfragt und beäugt werden.


Auch sollten wir uns nicht durch Massenbewegungen hinreissen lassen, sondern stets unseren eigenen Werten treu bleiben.


Die kritisierenden Kleriker werfen King vor, dass er illegal gehandelt habe. Die Frage, weshalb er bereit sei das Gesetz zu brechen beantwortet King wie folgt:


«Die Antwort liegt in der Tatsache, dass es zwei Arten von Gesetzen gibt: Es gibt gerechte Gesetze und es gibt ungerechte Gesetze. Ich stimme diesbezüglich mit dem heiligen Augustinus überein der sagt: "Ein ungerechtes Gesetz ist überhaupt kein Gesetz".

Wo liegt nun der Unterschied zwischen den beiden? Wie kann man erkennen, ob ein Gesetz gerecht oder ungerecht ist?


Ein gerechtes Gesetz ist ein von Menschen gemachtes Gesetz, das mit dem Gesetz der Moral oder dem Gesetz Gottes übereinstimmt. Ein ungerechtes Gesetz dagegen ist ein Gesetz, das mit dem Gesetz der Moral nicht harmoniert.


Um es in Thomas von Aquin’s Worten zu sagen: “Ein ungerechtes Gesetz ist ein menschliches Gesetz, das nicht im unveränderlichen Naturrecht verwurzelt ist. Jedes Gesetz, das die menschliche Persönlichkeit aufwertet, ist gerecht. Jedes Gesetz, das die Persönlichkeit des Menschen mindert, ist ungerecht."


Alle Ausgrenzungsgesetze sind ungerecht, weil die Ausgrenzung die Seele entstellt und die Persönlichkeit schädigt. Sie gibt dem Ausgrenzenden ein falsches Gefühl der Überlegenheit und den Ausgesonderten ein falsches Gefühl der Unterlegenheit.»


Dass es auch Gesetzen gegenüber kritisch zu sein gilt unterstreicht King mit folgenden Beispielen:


«Wir dürfen nie vergessen, dass alles, was Hitler in Deutschland tat, "legal" war und alles, was die ungarischen Freiheitskämpfer in Ungarn taten, "illegal" war.»


King schreibt dann weiter, dass er sich in Nazideutschland, wie auch in kommunistischen Ländern gegen das Gesetz stellen würde.


King teilt diesbezüglich die Meinung des grossen amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau der gesagt hatte: «In einer ungerechten Gesellschaft ist der einzige Platz für einen gerechten Menschen das Gefängnis.»


In einem weiteren Teil seines Briefes geht Martin Luther King mit jenen Menschen hart ins Gericht, die sich als moderat bezeichnen und sich als vernünftige Mitte zwischen den sogenannten Extremen sehen.


«Ich muss gestehen, dass ich in den letzten Jahren von den weissen Gemässigten schwer enttäuscht worden bin. Ich bin fast zu dem bedauerlichen Schluss gekommen, dass der grosse Stolperstein des Schwarzen auf dem Weg zur Freiheit nicht der Vertreter des Ku-Klux-Klans ist, sondern der weisse Gemässigte, der sich mehr der Ordnung als der Gerechtigkeit verschrieben hat; der einen negativen Frieden, der die Abwesenheit von Spannungen bedeutet, einem positiven Frieden, der die Gegenwart von Gerechtigkeit bedeutet, vorzieht; der Gemässigte, der ständig sagt: "Ich stimme mit deinem Ziel zwar überein, ich bin aber gegen die Art und Weise wie Du Dein Ziel verfolgst"; der paternalistisch meint, den Zeitplan für die Freiheit eines anderen Menschen festlegen zu können; der nach dem Mythos der Zeit lebt und der dem Schwarzen ständig rät, bis zu einer "günstigeren Zeit" zu warten.

Oberflächliches Verständnis von gutmeinenden Menschen ist frustrierender als absolutes Unverständnis von Menschen schlechten Willens. Lauwarme Akzeptanz ist viel verwirrender als völlige Ablehnung.»


Ich habe auch das Gefühl, dass es ganz viele Menschen gibt, welche die Abwesenheit von Spannungen einer kritischen Auseinandersetzung vorziehen. Auch dieses lehrmeisterliche, bevormundende Element ist gerade in den Kreisen, die sich selbst als moderat bezeichnen auch in der heutigen Zeit spürbar.


Ich teile auch die Ansicht von Martin Luther King, dass lauwarme Akzeptanz viel verwirrender ist, als völlige Ablehnung.


Es ist meine Überzeugung, dass es in freiheitlichen Gesellschaften extreme Positionen braucht. Solange die Vertreterinnen dieser Positionen gewaltlos agieren und bereit sind, den Diskurs miteinander zu führen und willens sind, Kompromisse einzugehen, sind diese Pole für eine Gesellschaft von grossem Nutzen, es sind diese extremen Positionen, die kreative Spannungen kreieren, die wiederum der Weiterentwicklung der Gesellschaft dienen.


Es sind nicht die extremen Positionen, die für eine Gesellschaft gefährlich sind, sondern die Menschen, die nicht bereit sind, von ihren Position abzurücken, jene Menschen, die zu Fanatikern werden und nicht in der Lage sind, von ihrem Standpunkt abzuweichen, jene Menschen, die nicht in der Lage sind, sich kritisch zu hinterfragen, jene Menschen, die Angst davor haben als Windfahne bezeichnet zu werden, wenn sie mal die Meinung ändern.

Gefährlich sind aber auch jene Menschen, die dem Frieden zu liebe stets Kompromisse suchen, jene Menschen denen alles über Ruhe und Ordnung geht, jene Menschen, die zugunsten der eigenen Sicherheit ihre Augen vor den Ungerechtigkeiten, die andere Menschen erfahren, verschliessen.


Martin Luther King weist auch daraufhin, dass das nicht Ernstnehmen von Minderheiten dazu führt, dass diese radikalisiert werden. Wenn gewisse Menschen vom politischen Diskurs ausgeschlossen werden, wenn sich gewisse Kreise in einer Gesellschaft kein Gehör verschaffen können und von den Herrschenden stets ausgegrenzt werden, dann wächst die Frustration bei diesen Menschen.


Diese Frustration rührt von dem Gefühl der Machtlosigkeit her und führt dann zu einer hasserfüllten Radikalisierung. Eine Radikalisierung, die hätte verhindert werden können, wenn man diese andersdenkenden Menschen nicht ausgegrenzt hätte.


Martin Luther King kommt zum Schluss, dass es nicht unbedingt etwas Negatives ist, wenn man von seinen Gegnern als Extremist bezeichnet wird. Er schreibt dazu:


«War Jesus nicht ein Extremist der Liebe? -- "Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, betet für die, die euch misshandeln."

War Amos nicht ein Extremist für die Gerechtigkeit? -- "Lasst das Recht herabströmen wie Wasser und die Gerechtigkeit wie einen mächtigen Strom."

War Paulus nicht ein Extremist des Evangeliums von Jesus Christus? -- "Ich trage an meinem Leib die Zeichen des Herrn Jesus."

War Martin Luther nicht ein Extremist? -- "Hier stehe ich; ich kann nicht anders, so wahr mir Gott helfe."

War nicht auch John Bunyan ein Extremist? -- "Ich werde bis ans Ende meiner Tage im Gefängnis bleiben, bevor ich mein Gewissen zum Gespött mache."

War nicht Abraham Lincoln ein Extremist? -- "Diese Nation kann nicht überleben, wenn sie halb versklavt und halb frei ist."

War nicht Thomas Jefferson ein Extremist? -- "Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind."


Die Frage ist also nicht, ob wir extremistisch sein werden, sondern welche Art von Extremisten wir sein werden. Werden wir Extremisten für den Hass sein, oder werden wir Extremisten für die Liebe sein? Werden wir Extremisten für die Bewahrung der Ungerechtigkeit sein oder werden wir Extremisten für die Sache der Gerechtigkeit sein?»


Was denken Sie, über Martin Luther Kings Ideen?


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