Angst ist nicht dein Problem – Vermeidung zerstört dein Leben.
- Mathias Müller
- vor 11 Minuten
- 4 Min. Lesezeit

Angst ist nicht dein Feind. Sie ist deine Ausrede. Nicht das Zittern vor Entscheidungen zerstört dein Leben, sondern der Reflex, immer auszuweichen. Sicherheit fühlt sich gut an, macht dich aber klein. Wer alles vermeiden will, riskiert am Ende genau das, wovor er sich fürchtet: Bedeutungslosigkeit.
Angst ist nichts Besonderes. Sie ist menschlich.
Viele Menschen haben Angst.
Nicht Angst vor Höhe.
Nicht Angst vor Spinnen.
Sondern diese stillen Ängste.
Angst vor Gesprächen.
Angst vor Konflikten.
Angst davor, etwas Falsches zu sagen.
Angst, sich zu blamieren.
Angst, abgelehnt zu werden.
Und gleich zu Beginn etwas Wichtiges:
Das ist nichts Besonderes.
Das ist menschlich.
Angst gehört zum Menschsein.
Angst war immer da.
Ohne Angst hätten wir nicht überlebt.
Und jetzt ein Satz, der ungewohnt klingt:
Angst ist kein Problem.
Nicht für den Menschen.
Nicht für eine Gesellschaft.
Das Problem ist nicht die Angst.
Das Problem ist, dass wir alles tun, um sie nicht zu spüren.
Warum Vermeidung unser Leben verkleinert
Wir leben in einer Zeit, in der sich alles um Sicherheit dreht.
Risikovermeidung.
Prävention.
Absicherung.
Wir haben Angst vor jedem Risiko.
Also vermeiden wir es.
Und genau hier beginnt das eigentliche Problem.
Denn Angst verschwindet nicht, wenn man ihr ausweicht.
Sie wird nicht kleiner.
Sie wird raffinierter.
Sie übernimmt langsam das Steuer.
Diese Erkenntnis stammt unter anderem von Dr. Harriet Lerner.
Harriet Lerner ist eine amerikanische Psychologin.
Keine Ideologin. Keine Aktivistin.
Eine Praktikerin.
In ihrem Buch "The Dance of Fear" beschreibt sie etwas sehr Ehrliches:
Menschen leiden nicht primär, weil sie Angst haben.
Sie leiden, weil sie ihr Leben so organisieren, dass sie diese Angst vermeiden.
Wir vermeiden Gespräche.
Wir vermeiden Entscheidungen.
Wir vermeiden Verantwortung.
Kurzfristig fühlt sich das gut an.
Man ist erleichtert.
Man hat Ruhe.
Langfristig wird das Leben kleiner.
Die Angst vor einem Nein
Ich sage das nicht von oben herab.
Ich kenne Angst sehr gut.
Und ich kenne vor allem diese spezielle Angst, über die man nicht gerne spricht:
Die Angst vor einem Nein.
Wenn ich jemanden anfrage.
Wenn ich jemanden bitte, Teil eines Projekts zu sein.
Wenn ich eine Idee habe und nicht weiss:
Sagt diese Person Ja – oder Nein?
Das sind genau die Gespräche, die ich am ehesten hinausschiebe.
Man wartet noch einen Tag.
Man formuliert im Kopf.
Man sucht den perfekten Moment.
Und tief drin weiss man:
Ich vermeide nicht das Risiko.
Ich vermeide das Gefühl, abgelehnt zu werden.
Wenn gute Absichten nicht reichen
Ein anderes Beispiel, das mir persönlich schwerfällt:
Gespräche mit Mitarbeitenden.
Nicht dann, wenn jemand offensichtlich schlechte oder gute Arbeit macht.
Das ist einfach.
Sondern dann, wenn mir die Person sympathisch ist.
Wenn ich weiss, sie bemüht sich.
Wenn ich weiss, sie meint es gut –
aber das Resultat trotzdem nicht stimmt.
Dann habe ich Angst, die Person zu enttäuschen.
Und genau dann bin ich versucht, es aufzuschieben.
Und jedes Mal, wenn ich es aufschiebe, weiss ich eigentlich schon:
Ich mache es nicht besser.
Ich mache es nur länger.
Und jedes Mal, wenn ich mich überwinde – ruhig, respektvoll, ohne Drama – passiert etwas Entscheidendes:
Die Angst ist nicht weg. Aber sie wird leichter.
Nicht die Angst ist das Problem.
Die Vermeidung ist es.
Vermeidung macht Probleme nicht kleiner
Ein klassisches Beispiel sehen wir beim Thema Gesundheit.
Viele Menschen – vor allem Männer in einem gewissen Alter – gehen nicht zum Arzt.
Nicht, weil sie keine Zeit haben.
Nicht, weil sie es vergessen.
Sondern weil sie Angst haben vor dem Resultat.
Was ist, wenn etwas nicht stimmt?
Was ist, wenn eine Diagnose kommt?
Was ist, wenn eine Operation nötig wird?
Also geht man nicht.
Man wartet.
Man hofft.
Aber Probleme, die man vermeidet, werden nicht kleiner.
Sie werden grösser.
Sicherheit als Lebensideologie
Wir leben in den sichersten Gesellschaften, die es je gegeben hat.
Kein Hunger.
Keine wilden Tiere.
Kein permanenter Krieg.
Historisch gesehen ist das Luxus.
Und trotzdem sind wir voller Angst.
Angst vor Fehlern.
Angst vor Kritik.
Angst vor Unsicherheit.
Also vermeiden wir.
Wenn Politik risikolos wird
In der Politik wird viel gesprochen.
Oft mit grossen Worten.
Über Ausgaben.
Über Investitionen.
Über Sparprogramme.
Wichtige Themen, keine Frage.
Aber nicht besonders riskant.
Warum?
Weil es nicht das eigene Geld ist.
Wirklich heikel wird Politik dort, wo man etwas riskiert:
Ansehen. Zustimmung. Karriere.
Und genau diese Themen meidet man.
Stattdessen spricht man lieber über den Klimawandel.
Klimaschutz ist wichtig.
Niemand will die Umwelt zerstören.
Aber:
Man geht kein persönliches Risiko ein, wenn man sagt:
„Ich will das Klima schützen.“
Gefährlich ist das nicht.
Gefährlich wird es erst, wenn man unpopuläre Fragen stellt.
Wenn man reale Probleme anspricht.
Kulturelle Konflikte.
Kriminalität.
Nicht kompatible Werte.
Und genau dort beginnt die Vermeidung.
Warum der Staat Risiko meidet – und Menschen es nicht sollten
Der Staat ist auf Stabilität ausgelegt.
Verlässlichkeit.
Berechenbarkeit.
Das ist richtig so.
Er arbeitet mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger.
Nicht mit seinem eigenen.
Deshalb ist Risiko dort nicht gefragt.
Problematisch wird es erst, wenn diese Logik zur Lebenslogik aller wird.
Wenn Menschen anfangen zu glauben:
Mut ist gefährlich.
Anpassung ist sicher.
Risiko ist falsch.
Dann verschwinden Unternehmertum, Innovation und Verantwortung.
Eine Gesellschaft kann stabil sein –
und gleichzeitig stehen bleiben.
Warum wir beide Typen brauchen
Ein gutes Beispiel ist die Armee.
In Friedenszeiten braucht sie Organisation, Prozesse, Stabilität.
In Kriegszeiten braucht sie Menschen, die mit Unsicherheit umgehen können.
Die entscheiden, ohne alle Informationen zu haben.
Die handeln, obwohl das Risiko hoch ist.
Nicht bessere Menschen.
Andere Typen.
Das Problem entsteht, wenn eine Gesellschaft vergisst, dass sie beide braucht.
Fortschritt war nie sicher
Wie ist Fortschritt entstanden?
Die Wright Brothers.
Über zweihundert Fehlversuche.
Rosa Parks.
Ein Akt voller Risiko.
Glaubt irgendjemand ernsthaft, diese Menschen hätten keine Angst gehabt?
Jede grosse Veränderung wurde von Menschen getragen, die Angst hatten – und trotzdem handelten.
Marcus Aurelius schrieb:
„Das Hindernis auf dem Weg wird selbst zum Weg.“
Nüchterner Mut
Und dann die Piraten.
Die echten.
Sie sind nicht zur See gegangen, weil es sicher war.
Vermeidung hält Schiffe im Hafen.
Aber Schiffe sind nicht für den Hafen gebaut.
Menschen übrigens auch nicht.
Was ist also die Alternative?
Nicht Leichtsinn.
Nicht Provokation.
Nicht Heldentum.
Die Alternative ist nüchterner Mut.
Das Richtige tun, obwohl man Angst hat.
Man wartet nicht, bis die Angst weg ist.
Dieser Moment kommt nie.
Man nimmt die Angst mit an Bord.
Und irgendwann merkt man:
Ich halte das aus.
Das ist Freiheit.
Wenn Du den Podcast "der stoische Pirat" unterstützen willst, dann kannst Du hier ein oder mehrere Kagffees spenden. Danke an all die Spenderinnen und Spender!



Kommentare