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Wie man sich auf das Unerwartete vorbereitet - Seneca's Rat für Schicksalsschläge


Wir alle haben Träume, Pläne und Hoffnungen. Doch in der Regel verläuft das Leben nicht so reibungslos, wie man es sich ausgedacht hat. Jederzeit können Dinge passieren, welche drohen uns aus der Bahn zu werfen. Damit wir solche Schicksalsschläge heil überstehen, sollten wir den Rat des Stoikers Seneca befolgen.



Eine Verletzung kurz vor dem wichtigsten Wettkampf, ein rufschädigender unehrlicher Angriff in den Medien, ein unverschuldeter Arbeitsplatzverlust, eine lebensbedrohliche Krankheit, eine Pandemie, der Tod eines uns wichtigen Menschen, ein Unfall, der Ausbruch eines Krieges, eine Energiekrise, der Verlust unserer Ersparnisse und Vorsorgeanlagen wegen Inflation, eine Naturkatastrophe oder eine Regierung, welche plötzlich die Grundrechte ausser Kraft setzt und für gewisse Bürgerinnen und Bürger zur Bedrohung wird u.s.w.


All diese Sachen sind den Menschen im Laufe der Geschichte regelmässig widerfahren. Kein Menschenleben, aber auch keine Gesellschaft oder Epoche ist von solchen unerwarteten und für nicht möglich gehaltenen Ereignisse verschont geblieben. Schicksalsschläge, Pandemien, Naturkatastrophen und Kriege hat es immer gegeben.


Wir können uns zwar, vor all den uns bekannten Gefahren schützen und uns entsprechend ab- oder versichern. Wir alle werden aber «schwarzen Schwänen» im Sinne der Definition des Finanzmathematikers Nassim Nicholas Taleb begegnen, nämlich historischen, ökonomischen, wirtschaftlichen oder persönlichen Ereignissen, die einerseits von niemandem vorhergesagt wurden, und andererseits massive Konsequenzen für uns haben.


Nun gibt es Menschen, die durch solch unvorhergesehene Ereignisse den Boden unter den Füssen verlieren und in den Abgrund der Depression stürzen. Es gibt aber auch Menschen, die solche Situationen scheinbar unversehrt überstehen oder sogar noch an ihnen wachsen.


Der in im Jahre 4 vor Jesus Christus in Cordoba geborene römische Philosoph Seneca hatte mehrere solche Situationen erlebt.


Als Jugendlicher hatte er schwere gesundheitliche Probleme. Im Alter von 35 fiel er in Ungnade des damaligen römischen Herrschers Caligula. Er entkam nur durch Zufall einer Tötung durch Caligula. Im Jahre 41 nach Christus hatte er erneut Probleme mit einem römischen Herrscher. Kaiser Claudius verbannte ihn nach Korsika.


Acht Jahre später durfte er nach Rom zurückkehren. Dies weil sich die einflussreiche Frau von Claudius, Julia Agrippina, für ihn eingesetzt hatte. In der Folge wurde Seneca der Privatlehrer von Julia Agrippinas Sohn, dem künftigen römischen Kaisers Nero.


Doch Nero wurde immer verrückter. Etwas das bei Menschen, die zu lange an der Macht sind und vor allem über zu viel Macht verfügen, nicht selten der Fall ist. Im Jahr 59 n. Chr. ordnete Nero die Ermordung seiner Mutter an. Dies war der Beginn einer Schreckensherrschaft, der viele Menschen zum Opfer fielen, darunter auch seine Frau Octavia.


Im Jahr 64 n. Chr. zerstörte ein Feuer grosse Teile Roms. Nero schob die Schuld der Feuersbrunst auf die kleine christliche Gemeinde der Stadt. In der Folge beschloss Nero, dass das zerstörte Zentrum Roms ein idealer Ort für den Bau seines neuen Palasts, der Domus Aurea, des "Goldenen Hauses", sein würde. Damit festigte Nero seinen Ruf als gefühlloser Despot weiter. Immer mehr einflussreiche Menschen hatten genug von Nero. Im Jahr 65 n. Chr. sollte ein Staatsstreich der Schreckensherrschaft Neros ein Ende bereiten.


Der Putsch aber schlug fehl, weil ein Verräter Nero gewarnt hatte.


In der Folge waren mehr als vierzig Männer wegen Verschwörung angeklagt worden. Einige von ihnen wurden verbannt, die meisten hingerichtet. Seneca wurde ebenfalls der Gruppe der Putschisten zugeordnet. Nero ordnete ihn an Selbstmord zu verüben. Seneca tat wie ihm befohlen. Er tat dies in ruhiger und gelassener Art und Weise.


In seinen Schriften thematisiert der Stoiker Seneca immer wieder den Umgang mit unvorhergesehenen Schicksalsschlägen.


Folgend nun neun Zitate, die uns helfen können, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen, bzw. uns mental zu stärken, damit wir vor «Schwarzen Schwänen» nicht zusammenbrechen.


Das Unvorhergesehene ist in seiner ganzen Wirkung noch erdrückender, das Unerwartete verstärkt das Gewicht einer Katastrophe. Die Tatsache, dass es sich um ein unvorhergesehenes Ereignis handelt, hat den Schmerz eines Menschen immer noch verstärkt. Dies ist ein guter Grund, um sicherzustellen, dass wir niemals von etwas überrascht werden. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit jederzeit auf die Zukunft richten und alle Eventualitäten in Betracht ziehen, und nicht nur die gewohnten Abläufe.

- Seneca, Briefe an Lucilius


Was uns Seneca hier rät, ist, dass wir auch das Unangenehme versuchen vorherzusehen. In der Regel verdrängen wir die möglichen schlimmem Dinge, die uns widerfahren könnten. So wie der Westen seit dem Fall der Mauer die Möglichkeit eines Krieges verdrängt hat.


Unzählige Politikerinnen und Politiker fanden es in den letzten dreissig Jahren sinnlos in die Armee zu investieren. Wer das Gegenteil behauptete, wurde im besten Fall als Ewiggestriger, im schlimmsten Fall als Nazi bezeichnet.


Gemäss Seneca sollten wir uns aber eben auch unangenehme Schicksalsschläge vorstellen. Je stärker wir uns nur auf das Gewohnte konzentrieren, desto schlimmer wird es für uns, wenn dieses Gewohnte plötzlich gestört wird. Wir sollten den angenehmen Zustand nie für selbstverständlich halten. Je unerwarteter etwas ist, desto mehr wirft es uns aus der Bahn. Allein die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Unwahrscheinlichen und dem Unerwarteten, hilft uns bei der Bewältigung, wenn diese tatsächlich eintreffen.


Sich negative Geschehnisse vorzustellen hat übrigens nichts mit Pessimismus zu tun. Es ist eigentlich sogar das Gegenteil. Man bereitet sich nämlich darauf vor, eine unerwartete unangenehme Situation möglichst gut bewältigen zu können. Wenn wir aber mögliche Schicksalsschläge und mögliche katastrophale Ereignisse ausblenden, dann ist dies nicht Optimismus, sondern Verdrängung.


In diesem Sinne ist auch folgendes Zitat zu verstehen:


Deshalb müssen wir jede Möglichkeit in Betracht ziehen und den geistigen Willen stärken, um mit den Dingen umzugehen, die möglicherweise passieren könnten. Stelle sie dir vor deinem inneren Auge vor: Exil, Folter, Krieg, Schiffbruch. Ein Unglück kann dich aus deiner Heimat entreissen... Wenn wir uns nicht von seltenen und unerwarteten Geschehnissen überwältigen und erschlagen lassen wollen, müssen wir das Schicksal in umfassender Weise vorhersehen.

- Seneca, Briefe an Lucilius


Kommen wir zum dritten Zitat. Dieses ist aus der Trostschrift an Marcia


«Dieser Mensch hat seine Kinder verloren: auch du kannst deine Kinder verlieren; dieser Mensch wurde zum Tode verurteilt: auch du kannst deine eigene Unschuld verlieren. Es ist der Irrtum, der uns ergreift und uns schwach macht, während wir Schicksalsschläge erleiden, von denen wir nie geahnt haben, dass wir sie einmal erfahren könnten. Wer den kommenden Ärger vorausgesehen hat, nimmt ihm die Kraft, wenn er tatsächlich kommt.»


Der entscheidende Satz ist: «Wer den kommenden Ärger vorausgesehen hat, nimmt ihm die Kraft, wenn er tatsächlich eintrifft».


Stellen Sie sich all den Ärger vor, den Sie zum Beispiel an einem Arbeitstag begegnen könnten. Stellen Sie sich vor, dass z.B. die nächste Sitzung in einem Konflikt enden könnte, und dann passiert dies nicht. Sind Sie nun zufrieden oder enttäuscht? Natürlich sind Sie zufrieden, weil das erwartete negative Ereignis nicht eingetreten ist.


Was uns Seneca lehrt, ist Erwartungsmanagement. Wenn ich immer nur positive Ergebnisse erwarte, riskiere ich enttäuscht zu werden.


Persönlich trage ich die negativen Erwartungen in der Regel aber nicht nach aussen, sondern behalte diese für mich, bzw. überlege für mich, was ich tun werde, wenn der schlimmste mögliche Fall eintreten wird.


Vor allem als Führungskraft behalte ich diese Gedankenspiele zu einem Worst Case Scenario für mich bzw. teile diese nur mit meinen engsten Vertrauten.


Folgendes Zitat von Seneca, passt unglaublich gut in die heutige Zeit:


"Ein Feldherr vertraut niemals so sehr auf den Frieden, dass er es versäumen würde, sich auf einen Krieg vorzubereiten."

- Seneca, Briefe an Lucilius


Heute, am 27. Februar 2022 hat die Deutsche Regierung angekündigt, dass sie 100 Milliarden in die Verteidigung investieren will. Es ist tragisch, dass es einen Krieg und die unmittelbare Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen braucht, damit eine Regierung zu dieser Erkenntnis kommt.


Während Jahren hat man die Verteidigung vernachlässigt. Dafür hat man an den ewigen Frieden ohne Waffen geglaubt, über Energiewende, Bioanbau und politisch korrekte Sprache debattiert und gleichzeitig auf jene Länder und Politiker herabgeschaut, welche diese Themen, als nicht ganz so wichtig, wie die eigene Landesverteidigung und Landesversorgung angeschaut haben.


Fünftes Zitat von Seneca. Wiederum aus «Briefe an Lucilius»


"Jeder stellt sich mit grösserer Tapferkeit einer Sache, auf die er sich seit langem vorbereitet hat; selbst Leiden werden ertragen, wenn sie vorher geübt worden sind. Wer dagegen unvorbereitet ist, den versetzen selbst die unbedeutendsten Vorfälle in Panik."


Gemäss Seneca kann man auch die Leidensfähigkeit durch Training stärken. Diese Erfahrung habe ich und wohl alle, die Militärdienst geleistet haben, auch gemacht. Es ist auch mitunter ein Grund dafür, weshalb militärische Ausbildung im Zusammenhang mit Führung und Leadership derart wertvoll ist.


Versinnbildlicht wird diese Idee des Trainierens der Leidensfähigkeit durch das Motto der Deutschen Kampftaucher, welches lautet: «Lerne leiden, ohne zu klagen». Heute hat man das Gefühl, dass viele Menschen eher nach dem Motto: «Lerne klagen, ohne zu leiden» leben.


Stellen wir uns aber einmal vor, was es für Menschen bedeutet, die nie aus der lauwarmen komfortablen Wohligkeit der heutigen Gegenwart getreten sind, wenn sie das Schicksal plötzlich aus dieser Komfortzone katapultiert.


In diesem Sinne sollten wir uns selbst zwingen, ab und zu aus der Komfortzone zu treten.


Dies bringt Seneca auch mit dem folgenden Zitat zum Ausdruck:


"Nimm dir hin und wieder einige Tage vor, während derer du dich mit der einfachsten und spärlichsten Nahrung und mit einfacher, schlichter Kleidung begnügst und dich fragst: "Ist es das, was ich früher gefürchtet habe?"

- Seneca, Briefe an Lucilius


Seneca rät uns regelmässig aus der Komfortzone zu treten. Wenn wir den uns gewohnten Komfort hin und wieder zurücklassen und uns bewusst mit weniger begnügen, lernen wir einerseits das zu schätzen was wir haben, andererseits wird uns bewusst, dass wir auch mit weniger leben könnten. Letzteres nimmt uns auch die Furcht vor Verlust.


Nach Seneca sollten wir uns also nicht nur gedanklich mit möglichen Schicksalsschlagen auseinandersetzen, sondern mögliche Konsequenzen solcher Schicksalsschläge auch üben.


Beispiele dafür können sein: Einmal pro Monat einen Tag lang nichts zu essen, kalt zu duschen, auf dem Boden zu schlafen, zu Fuss zur Arbeit zu gehen oder während einer Woche nur mit einem dem Existenzminimum entsprechenden Geldbetrag auszukommen.


In gleichem Sinne sind die folgenden zwei Zitate.


"Es ist wichtig, sich daran zu gewöhnen, mit wenig auszukommen. Selbst die Reichsten und Wohlhabendsten werden immer wieder mit schwierigen Umständen und Lebenssituationen konfrontiert und müssen sich damit abfinden. Es liegt nicht in der Macht des Menschen, alles zu haben, was er will; aber er hat es in der Hand, sich nicht zu wünschen, was er nicht hat, und das Beste aus den ihm gebotenen Umständen zu machen."

- Seneca, Briefe an Lucilius


"Gerstenbrei oder eine Brotkruste und Wasser sind keine sehr lustvolle Kost, aber nichts verschafft einem ein grösseres Vergnügen als die Fähigkeit, selbst daraus Freude zu schöpfen - und das Gefühl, das zu haben, was einem durch keine ungerechte Schicksalsfügung geraubt werden kann."

- Seneca, Briefe an Lucilius


Es gibt einen einfachen Trick, wie aus dem einfachsten Essen, die grossartigste Mahlzeit überhaupt wird: Entbehrung und Hunger.


Als Kommandant der Infanterie-Offiziersschule liess ich die Aspiranten während den ersten vier Tagen der zehntägigen Durchhalteübung täglich nur eine Notration essen.


Diese bestand aus einem 500gr schweren und 2'300 Kalorienreichen Riegel der Marke NRG-5 ohne jeglichen Geschmack. Der Energieverbrauch der Aspiranten während der Durchhalteübungen war um ein vielfaches höher, als die 2'300 Kalorien.


Nach vier Tagen verspürten die Aspiranten neben Müdigkeit, sie schliefen nur wenige Stunden pro Tag und dies im Freien, entsprechenden Hunger. Auch der Fade eintönige Geschmack der Notration machte ihnen langsam zu schaffen.


Am fünften Tag wurden die Aspiranten dann mit einem einfachen, aber reichhaltigen Fleischkäse und einem simplen Dessert überrascht. In der Folge erhielt ich immer die gleiche Rückmeldung: Der Fleischkäse sei das beste Essen gewesen, dass sie je in ihrem Leben genossen hätten.


Nach der Durchhalteübung thematisierte ich mit den angehenden Offizieren das Erlebte, ihre Gefühle und die Lehren, die sie daraus gezogen haben.


Immer kamen die jungen Aspiranten zum Schluss, dass man auch bei grossen Entbehrungen Freude schöpfen kann, wenn man das schätzt, was man hat, und wenn es in einer kalten und regnerischen Nacht, bei grosser Müdigkeit, körperlicher Erschöpfung und Hunger nur die Tatsache ist, dass man im Frieden lebt, einen guten Kameraden zur Seite hat oder man sich bewusst wird, dass man sich glücklich schätzen kann, Augen zu haben, welche den Mond am Himmel sehen können.


Kommen wir zum letzten Zitat. Wiederum aus «Briefe an Lucilus»


"In Zeiten der Sicherheit sollte sich der Mensch auf schwierige Zeiten vorbereiten; wenn das Schicksal ihm wohlgesonnen ist, ist es an der Zeit, sich gegen Rückschläge zu wappnen."


Sehr viele Menschen in der westlichen Welt leben ohne Reserven. Und wenn ich von Reserven spreche, dann nicht nur von finanziellen.


Wenn wir gesund sind, sollten wir unseren Körper trainieren. Die meisten von uns werden im Leben Momente haben, wo sie von diesen Reserven profitieren werden. So sind Menschen, die gut trainiert sind, nach einem Unfall oder einer schweren Operation rascher wieder auf dem Damm als jene, die sich schon in jungen Jahren haben gehen lassen.


Was für die Finanzen und den Körper gilt, gilt aber auch für den Geist. Wer nach der Schulzeit mit dem Lernen aufhört, wird viel mehr Mühe haben, sich auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen einzustellen.


Wer nicht liest, sich nicht weiterbildet, kein Wissensdurst hat, der wird auch nicht fit für künftige Herausforderungen sein.



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