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Besser Entscheiden dank M&M's


Entscheide fällen ist eine anstrengende und zuweilen komplexe Sache. David Lee Roth, exzentrischer Leadsänger der legendären Hardrock Band Van Halen, hatte diesbezüglich einen hervorragenden Trick mit M&M's. Was auf den ersten Blick wie die Forderung eines dekadenten selbstherrlichen Superstars wirkte, war in Tat und Wahrheit eine brillante Entscheidfindungshilfe.




Man schätzt, dass ein durchschnittlicher Erwachsener mehr als 35.000 Entscheidungen pro Tag trifft. Nach Schätzungen[1] von Forschern der Cornell University treffen wir jeden Tag 226,7 Entscheidungen allein in Bezug auf das Essen. Und mit zunehmender Verantwortung steigt auch die Zahl der Entscheidungen, die man treffen muss. Bei einer Unternehmerin, einem CEO, einem Geschäftsführer, einem Kommandanten oder eine Direktorin liegt die Zahl der täglichen Entscheidungen noch weit über den 35’000.


Dabei handelt es sich um ein weites Spektrum von Entscheidungen mit mehr oder weniger grossen Konsequenzen. Ob ich am Morgen den Snooze-Button auf meinem Wecker drücke oder statt einer blauen eine rote Krawatte anziehe, hat eine weniger grosse Tragweite, als der Entscheid darüber, ob ich die Firma verkaufen soll, ob ich heiraten soll oder ob ich meinen Job kündigen soll.


Entscheide fällen ist anstrengend und ermüdet. Es verhält sich ähnlich wie bei der Muskelkraft beim Krafttraining. Die Anzahl der Wiederholungen aber auch das Gewicht, dass ich beim Training bewege, haben einen direkten Einfluss auf meine Leistungsfähigkeit. Nach einer grossen Anzahl Wiederholungen oder nach dem Stemmen eines sehr schweren Gewichts, ist man in der Regel erschöpft und braucht eine Erholungspause. Genauso ist es auch beim Entscheiden. Das Fällen eines schwerwiegenden Entscheides oder von vielen verschiedenen Entscheiden führt bei uns zur Erschöpfung.


Wahrscheinlich haben Sie das selbst auch schon festgestellt, wenn sie nach einem Tag, an welchem sie viele oder schwierige Entscheide haben fällen müssen, derart überwältigt waren, dass Sie kaum mehr entscheiden konnten, was Sie zu Abend essen wollen. In der Psychologie nennt man diesen Effekt «Decision fatigue» oder «Entscheidmüdigkeit».


Psychologen konnten immer wieder belegen, dass die Qualität der Entscheide im Laufe des Tages bzw nach einer grossen bereits gefällten Anzahl Entscheide immer schlechter wird. Im Jahre 2011 veröffentlichten Psychologen der Stanford University und der israelischen Ben Gurion Universität die Resultate einer Untersuchung wo man von 1'100 Berufungsverfahren[2] unter die Lupe nahm. Die Psychologen stellten fest, dass alle Richter bei einem Drittel der Berufungsverfahren zugunsten der Antragsstellenden entschieden und diese auf Bewährung entliessen.


Interessant war aber die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bewährung sehr stark von der Tageszeit abhing. Gefangene, die früh am Morgen erschienen, erhielten in etwa 70 % der Fälle Bewährung, während Gefangene, die am späteren Nachmittag erschienen, in weniger als 10 % der Fälle Bewährung erhielten.


Je erschöpfter wir sind, desto weniger Energie stecken wir in eine saubere Entscheidfindung. Statt uns abzumühen, nehmen wir bei der Entschlussfassung Abkürzungen, entscheiden aus dem Bauch heraus oder entscheiden uns für die erstbeste Lösungsvariante.


Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Sitzungen am Morgen durchzuführen bzw. schwerwiegende Entscheide möglichst am Vormittag zu fällen. Idealerweise sollte man in Unternehmungen sogar die Weisung erlassen, dass Sitzungen und Rapporte allerspätestens um 15 Uhr beendet sein sollten.


Wie verhält es sich nun aber, wenn wir im Hinblick auf einen schwerwiegenden Entscheid weder die Zeit, noch die Energie haben, um eine gründliche Problemanalyse zu machen?


Zum Beispiel, wenn wir gezwungen sind den Entscheid am Abend zu fällen oder in einem Zustand der mentalen und/oder physischen Erschöpfung?


Eine mögliche Antwort bzw. einen möglichen Trick liefert uns David Lee Roth, der ehemalige Leadsänger der Hard-Rock-Band Van Halen.


Van Halen war in den 70er und 80er Jahren extrem erfolgreich. Ihre bekanntesten Hits waren «Jump», «Panama» oder «Hot for Teacher».



Van Halen war neben dem exzentrischen Auftreten der Bandmitglieder auch für ihre extravagante Bühnenshow bekannt.


Während andere Bands damals mit etwa drei Lastwagen voller Material unterwegs waren, hatten Van Halen deren neun.


Die Show war bis ins letzte Detail geplant. Die Konzerte hatten eine klare Dramaturgie. Das Bühnenbild, die Lichtshow, das Feuerwerk und der Sound waren wesentliche Bestandteile davon. Während andere Bands improvisierten, überliessen Van Halen nichts dem Zufall. Van Halen machten nicht nur Musik, sie boten ihren Zuschauerinnen und Zuschauern ein echtes Erlebnis ein Spektakel für die Sinne.


Die Band war bei jedem Konzert auch auf lokale Unterstützung beim Auf- und Abbau der gesamten Logistik angewiesen. Aus diesem Grund wurden sämtliche Details in einem vertraglich bindenden Eventkonzept festgehalten.


Dieses umfassende Konzept regelte sämtliche technischen Kleinigkeiten und war extrem komplex. So stand dort zum Beispiel geschrieben: "Es werden fünfzehn Ampere-Spannungssteckdosen, die gleichmässig neunzehn Ampere liefern, in Abständen von jeweils sechs Metern entlang des Bühnenrandes fixiert".


Diese Anleitung wurde dem jeweiligen lokalen Konzertveranstalter vorgängig mit dem Vertrag zugestellt, so, dass die notwendigen Arbeiten rechtzeitig erledigt werden konnten.


Die Band gab extrem viele Konzerte. In den 80er Jahren waren es manchmal über 100 Auftritte in einem Jahr. Van Halen reiste ununterbrochen von einer Stadt zur andern. Dabei blieb in der Regel nur sehr wenig Zeit für den Auf – und den Abbau der gesamten Eventlogistik.


In der wenigen Freizeit, welche den Musikern blieb, pflegten sie ihr Image als notorische Partylöwen und egomanische, ungezügelte Diven. Neben dem Zerstören von Hotelsuiten und dem aus dem Fenster werfen von Fernsehern waren Van Halen auch für ihre absurd dekadenten Forderungen bekannt. So verlangte David Lee Roth, z.B. dass im Backstage-Bereich stets eine Schüssel mit M&M’s bereitsteht, wobei die braunen M&M’s zuvor entfernt werden mussten.


Nun, was auf den ersten Blick tatsächlich wie eine Macke eines selbstherrlichen Rockstars wirkt, ist in Tat und Wahrheit ein genialer Schachzug.


Die "M&M-Klausel" war nämlich zu einem ganz bestimmten Zweck als Artikel 126 im vertraglichen Showkonzept aufgeführt worden. Der Wortlaut war in etwa wie folgt: "Im Backstage-Bereich gibt es keine braunen M&M’s. Sollte dies aber der Fall sein, kann Van Halen die Show bei voller Entschädigung annullieren.»


Der Artikel war inmitten unzähliger technischer Spezifikationen vergraben. Wenn Roth an einem neuen Veranstaltungsort ankam, ging er als erstes hinter die Bühne und warf einen Blick auf die M&M-Schale. Wenn er ein braunes M&M sah, verlangte er eine komplette Inspektion der gesamten Eventlogistik und -technik.

In seiner 1997 veröffentlichten Autobiografie «Crazy from the heat» schreibt Roth, dass bei diesen Inspektionen jedes Mal Fehler gefunden wurden, manchmal sogar schwerwiegende, weil die Leute die Anleitungen nicht genau durchgelesen hatten.


Mit anderen Worten: David Lee Roth war keine Diva, er war ein Meister der effizienten Entschlussfassung. Er brauchte eine Möglichkeit, schnell zu beurteilen, ob die Bühnenarbeiter an jedem Veranstaltungsort aufmerksam waren - ob sie jedes Wort des Vertrags bzw. des Eventkonzeptes gelesen und ernst genommen hatten.


Die M&M-Klausel war für Roth ein einfaches Mittel, um einen schwerwiegenden Entscheid zu fällen. Es war ein Hilfsmittel, das auch am späten Abend, in einem Zustand grösster mentaler und physischer Erschöpfung und ohne grossen Zeitaufwand erlaubte, zeitgerecht und eindeutig einen Entscheid zu treffen.


Viele Führungskräfte sind Mikromanager, welche enorm viel Zeit und Energie verbrauchen, um alles selbst zu kontrollieren und nötigenfalls zu korrigieren. Führungskräfte sind aber meines Erachtens weniger für das Kontrollieren, dafür aber für das Entscheiden bezahlt.


Damit man entscheiden kann, braucht es Zeit zum Denken, zum Analysieren und zum kreativ sein. Mit diesem einfachen M&M’s Trick hat David Lee Roth genau das erreicht. Er hat sich eine einfache und klare Entscheidgrundlage erschaffen und dadurch weder Zeit noch Energie für unnötige Kontrollen vergeudet.


Überlegen Sie sich mal, wo sie in ihrem Leben M&M’s platzieren könnten, um bessere Entscheide treffen zu können, um mehr Zeit zum Denken zu gewinnen, und weniger Aufwand für Mikromanagement zu betreiben.


Die detaillierte Van Halen/M&M's Story können Sie im hervorragenden Buch "Decisive" von Chip und Dan Heath nachlesen.


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Quellen: [1] Brian Wanzink et al: “Mindless Eating: The 200 Daily Food Decisions We Overlook” (2007) https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0013916506295573 [2] Shai Danziger, Jonathan Levav, and Liora Avnaim-Pesso: “Extraneous factors in judicial decisions” (2011); https://www.pnas.org/content/108/17/6889



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